Wenn Wände durch die Lüfte fliegen

Montag Morgen. Der Ostblock wird diese Woche gebaut. Das Haus fängt mit dem Ostblock an. Ich will eigentlich nicht hin. Habe im Büro viel zu tun und es ist auch kalt. Aber dann: „ach doch,“ denke ich, „ich fahr mal kurz vorbei.“ Regenklamotten an und dann aufs Rad durch den Nieselregen zur Baustelle. Ich werde im Ostblock wohnen. Eigentlich heißt der Ostblock „Ostflügel“, aber „Ostblock“ gefällt uns Ossis besser. Schon weil ein Block einen Blockwart braucht und wir einen Blockwart haben. Matthias wird der Blockwart sein. Darüber lachen wir schon seit zwei Jahren.

 

Ein komischer Vogel

 

Ich bin – das kann ich kaum glauben – die einzige Zuschauerin an diesem Morgen. Ich stelle mich an den Bauzaun und glotze. Hinter mir der Berufsverkehr auf der Düsseldorfer Straße und vor mir schwarz berufsbekleidete Zimmerleute, die geschäftig hin und her laufen. Die meisten bauen das Gerüst auf. Hinter dem Aufzugsschacht kann ich einen LKW mit großen verpackten Teilen ausmachen. Das müssen die Wände sein. Holzwände. Schließlich bauen wir ein Holzhaus. Ich warte und friere. Springe auf und ab. „Was bist du denn für ein komischer Vogel,“ ruft mir einer der Zimmermänner zu. Und dann bewegt sich der Kran.

 

Fotografieren und posten

 

Zwei Zimmermänner klettern jetzt auf dem LKW rum und befestigen das erste Teil. Ein blaugrüner Holzstapel fliegt durch die Luft und mir ist klar: das ist das erste Teil vom Haus und ich bin für die Live-Berichterstattung zuständig. Wo ist mein Telefon? Ich muss Fotos machen und in die Gruppe posten. Hektisch zerre ich mir die Fahrradhandschuhe von den Händen und fotografiere und poste und fotografiere und poste und fotografiere und poste und dann fällt mir auf, dass das gar nicht die erste Wand war, sondern ein paar Bretter fürs Gerüst. Peinlich. Den Irrtum in die Gruppe posten. Oh man.

 

Wenn es irgendwo aufregend ist

 

Und dann fliegt doch eine Wand. Ich erkenne die Wand daran, dass sie etwa zwanzig Mal so groß ist wie die Gerüstbretter und dass sie ein Fenster hat. Sie kommt mit Fenstern fliegt durch die Luft und kommt dort herunter, wo mein Wohnzimmer ist. Es ist – ich kann das kaum glauben – meine Wohnzimmerwand und das Fenster ist mein Wohnzimmerfenster! Fotografieren und posten. Fotografieren und posten. Ich springe nicht mehr. Ich stehe da und bin fassungslos. Das Haus wird gebaut und es fängt mit meiner Wohnung an. Tränen fließen mir über das kalte Gesicht. Wie gut, dass ich gekommen bin. Und wo sind die anderen? Ich schaue die Straße hinunter und da kommt der Blockwart um die Ecke, zeigt auf die Wand und auf mich und lacht. Und wenige Schritte hinter ihm kommt Julia. Sie hat noch Nikolai in die Schule gebracht. Das ist das schönste am neuen Haus. Du bist nie lange allein. Schon gar nicht, wenn es irgendwo aufregend ist.

 

Susanne Pramann