Offene Wahlen und neue Gewohnheiten

Wir arbeiten inzwischen schon recht lange nach einem Organisationsmodell, dass keinem ähnelt, das wir zuvor kannten. Es ist ein soziokratisches Organisationsmodell und der auffallendste Unterschied ist, dass nicht die Mehrheit bestimmt, wo es lang geht, sondern wir Wege gehen, die alle mitgehen können. Das neue Modell hat viele neue Vokabeln mit in unseren Alltag gebracht. Eine dieser Vokabeln ist „Konsententscheidung“ eine andere „offene Wahl“.

 

Eine warme, wohltuende Seelendusche

 

Eine offene Wahl ist eine Form der Konsententscheidung und sie ist so, wie der Name es sagt. Offen! Wie läuft eine offene Wahl ab? Zuerst braucht es eine*n Moderator*in, derdie die Wahl strukturiert und leitet. Jedes Mitglied überlegt sich im Vorfeld der Wahl, wen ersie für die geeignetste Person für die jeweilige Aufgabe hält. „Gewählt wird dann in zwei so genannten Redestabrunden. In der ersten Runde beschreibt jedejeder den eigenen Vorschlag, z.B. wie es zu diesem kam, welche Überlegung und Empfindungen dazu geführt haben und welche Eigenschaften der betreffenden Person ausschlaggebend waren. Diese Runde ist für die, die vorgeschlagen werden oft wie eine warme, wohltuende Seelendusche. Zu hören, was andere an einem selbst gut finden und das auch noch in dieser Fülle, die Hervorhebung guter Eigenschaften, wohlmöglich ganz neuer positiver Sichten auf die eigene Person gehört nicht zu alltäglichen Erlebnissen, das erlebt manfrau nicht allzu oft und das tut richtig gut – unabhängig davon, ob manfrau den Posten übernehmen möchte.

 

Zuhören und – manchmal - umschwenken

 

Nachdem alle ihren Vorschlag beschrieben haben, beginnt dann eine zweite Redestabrunde, in der entweder der ursprüngliche Vorschlag beibehalten oder aber auf eine andere, bereits genannte Person umgeschwenkt werden kann. Warum umschwenken? Beim Hören aller Vorschläge in der ersten Redestabrunde eröffnen sich nicht selten neue Sichtweisen, neue Gefühlslagen und das kann zum Umschwenken führen. Manfrau findet jetzt doch eine andere Person noch geeigneter als zuvor. Und das Gute ist – das Umschwenken macht das Zuvor Gesagte nicht nichtig. Alle wertschätzenden Beiträge behalten ihre Kraft.

 

Wir haben erlebt, dass Menschen, die für sich nicht das Ziel hatten, eine Aufgabe zu übernehmen, so von den Redebeiträgen / Einschätzungen berührt wurden, dass sie es sich doch vorstellen konnten und es letztlich angenommen haben. Wir haben auch erlebt, dass noch während der ersten Runde Menschen sagten, sie wollten sich nicht für die Aufgabe zur Verfügung stellen. Beides geht bei der offenen Wahl.

 

Können alle mitgehen?

 

Am Ende der zweiten Redestabrunde wird nicht unbedingt die Person mit den meisten Nennungen gewählt. Es obliegt demder Moderator*in alles Gehörte zu bedenken und in Kopf und Herz zu bewegen und dann einen Vorschlag für die Aufgabe zu machen, den die Person annehmen kann oder nicht. Gibt es einen Einwand gegen den Vorschlag oder können alle mitgehen? Bisher gab es noch nie einen Einwand und die gewählte Person hat die Wahl auch immer angenommen.

 

Es ist eine ungewohnte Form, nein, es war eine ungewohnte Form einer Wahl. Mittlerweile ist der Ablauf klar, jederjede ist sicherer im Umgang geworden und wir erleben jedes Mal neu, welches Potential in dieser Art zu wählen steckt. Auch wenn mit der offenen Wahl nicht alle glücklich sind – es können alle mitgehen.

 

Bettina Orthey